Umgang mit Antisemitismus in Deutschland: Kritik ist noch kein Verbot

Das Wehklagen in der postnazistischen Gesellschaft ist groß. Kritik an Antisemitismus wird schnell als McCarthyismus abgetan. Das ist unehrlich.

Eine Teilnehmerin nimmt an der Abschlusskundgebung einer Demonstration unter dem Motto «Gemeinsam gegen linken, rechten und islamistischen Antisemitismus teil

Klare Kante: „Gemeinsam gegen linken, rechten und islamistischen Antisemitismus“ Foto: Christoph Soeder/dpa

Viel werden derzeit ein „McCarthyismus“ und enge „Meinungskorridore“ beklagt. Diese Vorstellung von vermeintlichen „Meinungsverboten“ befremdet mich. Spricht man mit den Betroffenen von Antisemitismus und Rassismus, berichten viele von der Sorge, nicht ernst genommen zu werden. Spricht man mit 40 Prozent der Deutschen, äußern diese die Sorge, ihre Meinung nicht mehr frei äußern zu können. Doch welche Sanktionen müssen sie fürchten? Was ist außer Gegenrede zu erwarten?

Hannah Arendt schrieb, dass wir uns „sprechend und handelnd“ in die Welt einschalten und dafür Verantwortung übernehmen müssen. Ich halte es für wichtig, zu erkennen, dass Antisemitismus im Alltag kaum als strafrechtlich relevant auftritt. Wir leben in einer postnazistischen Gesellschaft. Er wird kaschiert und codiert. Die einen raunen von „Globalisten“ und andere vergleichen Israelis – oder gleich pauschal Jü­din­nen*­Ju­den – mit den Nazis.

Um herauszufinden, ob eine Person antisemitisch ist, müsste man ihr tief in den Kopf schauen. Da aber oft keine psychoanalytische Chaiselongue zur Verfügung steht, bleibe ich bei dem, was ich bewerten kann: den Aussagen. Und eine Gleichsetzung (expressis verbis nicht der Vergleich) von Israel und dem Nationalsozialismus schließt an ein in Deutschland immer stärker werdendes Bedürfnis an: das nach dem Schlussstrich.

Kritik ist noch lange kein Verbot

Die Geschichte ist erst schiefgeheilt, wenn sich deutsche Tä­te­r*in­nen­schaft dadurch relativiert, dass das einstige Opfer nun „genauso“ schlimm handele. Die Gleichsetzung ist unstattlich, weil sie die Ideologie verkennt. Präzedenzlos ist die Shoa nicht wegen der Mittel, sondern wegen ihres Zieles der industriellen Vernichtung einer kompletten Bevölkerungsgruppe.

Kritik an solchen Gleichsetzungen ist immer geboten, kommt aber in keinem Fall einem Verbot gleich. Der Streit darüber ist notwendig, damit relativierende Positionen eingeordnet werden können. Wer genauer hinschaut, hat die Chance zu erkennen, dass es gar nicht um Meinungsverbote geht, sondern um eine zunehmende Sensibilität, von der der Soziologe Aladin El-Mafaalani gesprochen hat. Rassistische und antisemitische Positionen werden nicht mehr einfach so hingenommen.

Könnte man sich den Auftritt von Jonny Buchardt aus dem Jahr 1973 heute noch vorstellen, als dieser seine Zu­schaue­r*in­nen anleitete nach dem Freudenruf „Zicke zacke zicke zacke! – Hoi hoi hoi!“ auf die Ansage „Sieg“ mit „Heil“ zu antworten? Wir müssen im Gespräch bleiben, dafür kämpfe ich. Aber ich kämpfe auch dafür, dass man Dinge beim Namen nennt.

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