SPD-Basis kritisiert Koalitionsvertrag: Schwarz-Rot in Hessen kommt

Die Sozialdemokraten winken die Koalition mit der CDU durch. Aber Teile der Partei stoßen sich vor allem an den Vereinbarungen zur Asylpolitik.

Frau lacht Mann an

Verstehen sich prächtig: Nancy Faeser (SPD) und Boris Rhein (CDU) Foto: Andreas Arnold/dpa

GROß-UMSTADT taz | Nach heftiger, kontroverser Debatte hat der Landesparteitag der hessischen SPD im südhessischen Groß-Umstadt den mit der CDU ausgehandelten Koalitionsvertrag verabschiedet. Mehr als 80 Prozent der Delegierten stimmten am Ende zu. Zeitgleich hatte in Frankfurt am Samstag der kleine Parteitag der Hessen-CDU den Weg für die erste schwarz-rote Landesregierung in diesem Bundesland freigemacht.

Die Vorleute der hessischen SPD mussten sich in der mehrstündigen Debatte zunächst viel Kritik anhören. Vor allem die jungen, aber auch einige erfahrene GenossInnen attackierten den Vertragstext heftig. Der frühere Generalsekretär der Landespartei, Norbert Schmitt, erinnerte die Landesvorsitzende, Bundesinnenministerin Nancy Faeser, an das „miserable“ Resultat bei der Landtagswahl am 8. Oktober. Als Spitzenkandidatin hatte sie 15,1 Prozent erreicht, das schlechteste Wahlergebnis der SPD in Hessen. „Du warst die falsche Kandidatin zum falschen Zeitpunkt!“, rief er „Nancy“ zu und warnte seine Partei davor, „Leute der Vergangenheit“ ins Kabinett zu berufen.

Juso-Landeschef Lukas Schneider beklagte den künftigen Kurs in der Migrationspolitik, bei dem nicht länger die Humanität im Zentrum stehe: „Die Geflüchteten werden drangsaliert, wem wollen wir damit helfen?“, fragte er. Die Hoffnung der gebeutelten Partei auf einen „sicheren Hafen“ in der Koalition mit der CDU werde „in dem Sumpf enden, in den wir geraten sind.“ „Mehr Abschiebungen sind doch nicht die Lösung, lasst die Menschen arbeiten“, rief eine Juso-Vorstandskollegin. Viel Kritik gab es in diesem Zusammenhang auch am Bekenntnis des Vertrags zum dreigliedrigen Schulwesen „inklusive Noten und Sitzenbleiben“.

Der scheidende Landtagsabgeordnete Gernot Grumbach rief empört: „Ich bekenne mich nicht zu einem Schulsystem, das soviel Leid und Ungerechtigkeit gebracht hat“; er attackierte auch die Abschaffung der Gendersternchen, die die neue Koalition für Behörden, Schulen und öffentlich-rechtliche Institutionen durchsetzen will. Sie dienten der Erkennbarkeit von Frauen in der Sprache, sagte Grumbach. Die nicht binäre Person Amilio Ludwig-Dinkel klagte, mit diesen Sätzen aus dem Koalitionsvertrag werde ihre Identität infrage gestellt. Ein Delegierter sprach vom „Kulturkampfmüll“, den die CDU in den Vertrag hinein verhandelt habe.

Bei der Schlussabstimmung gab es schließlich trotz dieser Debattenbeiträge eine breite Mehrheit für die schwarz-rote Koalition, Nancy Faeser hatte mit einer kämpferischen Rede für den Koalitionsvertrag geworben. Auch sie beklagte die Formulierungen zu einer härteren Gangart in der Migrationspolitik, auf denen die CDU bestanden habe: „Da schüttelt es einen“, sagte sie. Als im Kabinett für Migration und Arbeit Zuständige garantierten künftig SozialdemokratInnen eine humane Integrationspolitik, versicherte die Bundesinnenministerin. Die Koalition mit der CDU sei „keine Liebesheirat, sondern eine Verantwortungsgemeinschaft in schwerer Zeit.“

Faeser hob vor allem die Vereinbarungen zur Sozial- und Wirtschaftspolitik hervor, in der die SPD in den nächsten fünf Jahren Verantwortung gestalten könne. Die vereinbarten Investitionen in Bildung und Infrastruktur würden das Leben der Menschen verbessern, so die SPD-Landesvorsitzende. Das „dramatisch schlechte Wahlergebnis“ der SPD werde nun intern „fein säuberlich“ aufgearbeitet, so Faeser. Sie dankte den vielen Ehrenamtlichen in der Partei: „An Euch lag es sicher nicht!“, übernahm sie Verantwortung für die Schlappe im Oktober.

In der kontroversen Debatte hatten ihr Bürgermeister und Landräte aus der kommunalpolitischen Vereinigung der SPD den Rücken gestärkt. Dass sich das Land künftig an den Betriebskosten für Kitas beteiligen und mehr Geld für Krankenhäuser zusteuern wird, dass Unternehmen aus einem Transformationsfonds bei dem Übergang in die digitale und nicht fossile Welt unterstützt werden sollen, bezeichneten mehrere KommunalpolitikerInnen als wichtige Entlastung der Kommunen. Nach ihrer Rede und nach der Schlussabstimmung feierte eine deutliche Mehrheit der Delegierten die Landesvorsitzende mit langanhaltendem Beifall, auch weil sie ihre Partei nach 25 Jahren in der Opposition in Hessen wieder in Regierungsverantwortung bringen wird.

Die neue CDU-geführte Landesregierung wird mit der konstituierenden Sitzung des hessischen Landtags am 18. Januar ins Amt kommen. Wer dann neben Ministerpräsident Boris Rhein, CDU, auf der Regierungsbank Platz nimmt, wird erst nach Weihnachten entschieden.

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