Erlass aus Kyjiw: Kein Pass für wehrpflichtige Ukrainer

Weil sie nicht für ihr Land an der Front stehen wollen, werden ukrainische Männer aktuell nicht mehr in ihren Konsulaten im Ausland bedient.

Haus mit Plakat mit der Aufschrift: "Solidarität mit der Ukraine! Sicherheit in Europa!"

Blick auf das Generalkonsulat der Ukraine an der Hamburger Außenalster Foto: Marcus Brandt/dpa

DÜSSELDORF taz | Nicht sehr geduldig warten gut zwei Dutzend Personen am frühen Freitagmorgen vor dem ukrainischen Generalkonsulat in Düsseldorf in der Luisenstrasse 9. Nicht alle haben einen Termin. Einige sind spontan gekommen, ohne eine Eintragung in die Online-Liste, nachdem sie gehört haben, dass die Ukraine ab sofort Männern zwischen 18 und 60 Jahren, die nicht bei den Wehrbehörden gemeldet sind, keine Konsulardienste mehr erweist. Männer sind unter den Wartenden in der Minderzahl. Ins Auge fallen zwei Männer mit Krücken und ein ebenfalls junger Mann, der sich mit seiner Begleiterin in fließendem Deutsch mit leichtem Düsseldorfer Akzent unterhält.

Pünktlich um 8:45 Uhr öffnet das Konsulat seine Pforten. Der junge Mann kommt als einer der ersten dran. Auch er braucht einen neuen Reisepass.

„Ich bin jetzt 27 Jahre alt, lebe seit 25 Jahren in Deutschland. Und nun habe ich gehört, dass ich im Düsseldorfer Konsulat keinen Pass mehr bekommen kann“, wendet er sich an den ukrainischen Konsularbeamten. Doch dieser antwortet ihm nur auf Ukrainisch. Der junge Mann versteht aber kein Ukrainisch. Auch Russisch spricht er nur sehr schlecht. Bisher hatte ihn immer seine Mutter als Dolmetscherin begleitet. Der Konsularbeamte gibt ihm zu verstehen, dass er bitte mit einem Dolmetscher zu einem späteren Zeitpunkt wiederkommen solle. „Ich weiß nicht, was mein Arbeitgeber sagt, wenn er erfährt, dass ich keinen gültigen Pass habe“, erklärt er verzweifelt einem anderen Besucher. Außerdem sei er häufig beruflich im Ausland. Und das gehe ja nur mit einem gültigen Pass.

Den beiden Männern mit dem Krückstock geht es nicht besser. Sie hatten gehofft, dass sie bedient werden, weil sie ja offensichtlich nicht wehrtauglich sind. Doch auch sie weist der Konsularbeamte ab. „Unsere Order ist: keine Konsularleistungen für Männer zwischen 18 und 60. Und daran halten wir uns auch.“ Allerdings erwarte man bis zum 18. Mai noch weitere Anweisungen aus Kiew. Sie mögen doch bitte ihre Daten da lassen. Und sobald man nähere Bestimmungen habe, werde man sie anrufen, tröstet sie der Beamte.

Wehrpflichtige ukrainische Männer können seit Dienstag im Ausland keine konsularischen Dienstleistungen mehr in Anspruch nehmen. Das berichtet die ukrainische Wochenzeitung Dzerkalo Tyzhnya, die gleichzeitig den entsprechenden Erlass veröffentlichte, der vom stellvertretenden ukrainischen Außenminister Andriy Sibiga unterzeichnet wurde.

„Ein Mann im wehrfähigen Alter, der ins Ausland gegangen ist, hat seinem Staat gezeigt, dass er sich nicht um sein Überleben kümmert. Und er will nun von diesem Staat Leistungen erhalten. So geht das nicht. Wir befinden uns im Krieg“, begründet Außenminister Dmytro Kuleba die Entscheidung. „Diese Leute glauben wohl, dass es möglich ist, dass weit weg an der Front die einen ihr Leben geben, während andere im Ausland sitzen, und dann auch noch Leistungen von diesem Staat erhalten wollen. Das funktioniert so nicht“, so Kuleba.

Aktuell sollen ca. 200.000 ukrainische Männer zwischen 18 und 64 Jahren in Deutschland leben. Diese im April 2024 veröffentlichte Zahl fußt allerdings auf Daten vom Juli 2023.

In der Ukraine ist die Entscheidung der Regierung umstritten, die sich auf das jüngst verabschiedete und vom Präsidenten unterschriebene Gesetz zur Mobilisierung vorsieht, das Einschränkungen für Männer, die sich nicht bei den Wehrbehörden in der Ukraine melden. Am 18. Mai wird es in Kraft treten.

Man könne sich doch nicht auf ein Gesetz berufen, das noch gar nicht in Kraft getreten ist, kritisiert Oleksandr Pawlitschenko von der Ukrainischen Helsinki-Union für Menschenrechte in einem Fernsehinterview mit dem Sender TSN die neue Praxis der Konsulate. Leistungen der Konsulate seien ja nicht nur die Ausstellung von Reisepässen. Konsulate hätten auch andere Aufgaben, wie Beurkundungen von Eheschließungen, Geburten und Todesfällen.

Konsulate stehen ihren Bürgern bei, wenn sie Unfälle hatten, gewährten mitunter ihren Staatsbürgern juristischen Beistand, wenn diese mit dem Gesetz des Gastgeberlandes in Konflikt geraten seien. Und wie sieht es eigentlich mit der Rechtsfähigkeit von ukrainischen Staatsbürgern aus, die keinen gültigen Ausweis haben und sich z.B. ein Auto kaufen wollen, will Pawlitschenko wissen, der die Entscheidung der Ukraine, ihre Grenzen für wehrfähige Männer zu schließen, für falsch hält.

Das Gesetz Nr. 10449 zur Mobilisierung, das die Werchowna Rada am 11. April verabschiedet hatte, enthält eine Bestimmung, wonach Männer im Alter von 18 bis 60 Jahren, die sich im Ausland aufhalten, nur dann von den Konsulaten bedient werden dürfen, wenn sie sich zuvor in der Ukraine bei den Wehrbehörden gemeldet haben.

Es ist davon auszugehen, dass die Konsulate von ihrer Position, grundsätzlich Männern im wehrfähigen Alter keine Konsulardienste zu gewähren, abweichen werden, sobald nähere Ausführungsbestimmungen aus Kiew in Düsseldorf und anderen Konsulaten der Ukraine eingegangen sind.

Und dann werden sicherlich auch der 27-jährige Mann, der in Deutschland ein Aufenthaltsrecht hat, und die beiden Männer mit der Krücke im Generalkonsulat in Düsseldorf bedient werden.

Unterdessen erklärte der Pressesprecher des deutschen Innenministeriums, Maximilian Kall, dass sich die neue geänderte Praxis der ukrainischen Konsulate nicht auf den Schutzstatus für Geflüchtete aus der Ukraine auswirken werde, „ganz gleich, ob es Frauen oder Männer sind“.

Und das Portal Radio Trek rät ukrainischen Bürgern, die in Deutschland leben, einen „Reiseausweis für Ausländer“ zu beantragen. Mit diesem ließe sich problemlos in Schengen-Staaten reisen.

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