Revolutionäre 1. Mai-Demo in Berlin: Ohne Krawalle, ohne Inhalt

Statt Ausschreitungen hätten Inhalte in den Vordergrund treten können: der 1. Mai blieb aber inhaltslos.

Demozug mit Palästina-Transparent

Bis auf pro-palästinensische Solidaritätsbekundungen blieb die linke Demo eher inhaltslos Foto: Sebastian Gollnow/dpa

Man hätte die traditionelle „Revolutionäre 1. Mai Demonstration“ in den Berliner Bezirken Kreuzberg und Neukölln in diesem Jahr auch für eine riesige Pro-Palästina-Demo halten können: In allen Blöcken des rund 15.000 Menschen umfassenden Demonstrationszuges wurden Freiheit für Palästina und ein Ende des Krieges in Nahost gefordert.

Im Gegensatz zu vergangenen Demos waren im Frontblock jedoch weder Palästina-Fahnen zu sehen noch war die verbotene Parole „from the river to the sea“ zu hören. Stattdessen wurde ein altbekannter Slogan wieder rausgekramt: „Deutsche Waffen, deutsches Geld, morden mit in aller Welt“, war eine häufig gerufene Parole, mit der die De­mons­tran­t*in­nen einen Stopp der Waffenlieferungen an Israel forderten.

Die Polizei hielt sich entsprechend auffällig zurück. Wie schon bei der anarchistischen Walpurgisnachtdemo am Vorabend hielten die tausenden Einsatzkräfte großen Abstand und griffen nicht, wie bei den jüngsten propalästinensischen Protesten, willkürlich Ak­ti­vis­t*in­nen an, die eine Palästinaflagge und/oder Kufija trugen – was außer im Frontblock ungefähr je­de*r zweite Teil­neh­me­r*in tat. Sowohl bei der Walpurgisnacht als auch bei der 18-Uhr-Demo passierte das Erwartbare: Ohne die Provokation der Polizei blieb es friedlich.

Und so erreichte die „Revolutionäre 1. Mai Demonstration“ zum ersten Mal seit vielen Jahren unbehelligt ihr Ziel, und es kam auch nicht zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen De­mons­tran­t*in­nen und den Beamt*innen. Davon schienen am Ende auch die Or­ga­ni­sa­to­r*in­nen überrascht zu sein: Die größtenteils kommunistischen Gruppen wirkten geradezu ratlos ob dieser Friedlichkeit. Ein Konzept, was in diesem unwahrscheinlichen Fall zu tun sei, war nicht zu erkennen.

Das offenbart ein grundlegendes Problem: Ohne die Fremdbestimmung durch die Polizei und die damit verbundenen Ausschreitungen treten die Inhalte stärker in den Vordergrund. Und die waren außer dem Nahost-Konflikt kaum vorhanden. Die drängenden Probleme, die Berlin darüber hinaus bewegen – Mietenwahnsinn, Klimapolitik, Rechtsruck, Abbau des Sozialstaats oder soziale Spaltung – kamen so gut wie nicht vor. Und das, obwohl es bei der „Revolutionären“ 1. Mai Demonstration eigentlich um Klassenkampf geht.

Damit ist die 1. Mai-Demo in Berlin ein Spiegel der linken Szene: Spaltung geht über Diskurs, man bekämpft sich lieber untereinander als den gemeinsamen Feind: Staat und Kapital. Die lachenden Dritten sind die Pro­fi­teu­r*in­nen des Status Quo. Denn wie hieß es so schön im feministischen Block? „Was macht den Bonzen Dampf? Klassenkampf, Klassenkampf.“ Doch davon ist die Linke, nicht nur in Berlin, sehr weit entfernt.

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Leiterin taz Berlin und Redakteurin für soziale Bewegungen, Migration und soziale Gerechtigkeit. Hat politische Theorie studiert, ist aber mehr an der Praxis interessiert.

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