Bilanz der Oberhausener Kurzfilmtage: Türen öffnen, Türen schließen

Festival im Ausnahmezustand: Die Bilanz der Kurzfilmtage Oberhausen fällt dieses Jahr melancholisch aus. Alles wurde überschattet vom Nahostkonflikt.

Filmstill des polnischen Kurzfilms "Pazur" von Martha Z. Nowak. Man sieht die Zeichnung eines Huhnsn

Unscheinbares Huhn. Szene aus „Pazur“ Foto: Martha Z. Nowak

In einer polnischen Kleinstadt baut Łukasz Puczko Marionetten. Gerade arbeitet er jedoch an einem Hühnerkostüm. Neben der Arbeit hilft er ukrainischen Familien, die wegen des russischen Angriffskrieges ihre Heimat verlassen haben, eine Bleibe zu finden.

Als er für eine Familie keine Unterkunft findet, quartiert er die vier bei sich ein. Das Kostüm, mit dem Puczko gegen den geplanten Bau einer Hühnerfarm protestiert, wird zum gemeinsamen Projekt, das der Familie, vor allem der 16-jährigen Sabina, das Ankommen in einer Realität jenseits des Kriegs erleichtert.

Marta Z. Nowaks Kurzfilm „Pazur“ (The Claw) erinnert mit dem großgewachsenen Puczko im Hühnerkostüm daran, dass politische Interventionen von leichter Hand wirken können. Nowaks Film lief im internationalen Wettbewerb der diesjährigen Kurzfilmtage in Oberhausen.

Mangelware Leichtigkeit

Leichtigkeit war dieses Jahr Mangelware. Die Kurzfilmtage sind aktuell von einem Boykott der internationalen Filmszene getroffen wegen des Nahostkonflikts. Manche Besucher_innen sind ferngeblieben, Filme wurden zwar eingereicht, wieder zurückgezogen, Filmverleihe, die seit Langem auf den Kurzfilmtagen Filme präsentieren, haben die Zusammenarbeit aufgekündigt. Türen wurden durchaus ostentativ zugeschmissen.

Eine Küchenzeile. Vor dem Fenster an der Seite sind auf der Innenseite Jalousien heruntergelassen, in der Spüle steht Abwasch. Von draußen Vogelgesang und Insektengezirpe. Vor der Wohnzimmerwand steht ein Tisch mit einem Stuhl. Auf dem Tisch steht ein benutzter Teller, liegen Zeitungen.

Als die Sonne für einen Moment durchkommt, hellt sich der Raum auf, anschließend wird das Licht wieder gedämpfter. Die Zimmer sind Teil einer Hütte am Rande des Hillsborough River, in der Nähe von Tampa, Florida. Dann beginnt die Auflösung des Hausstandes und der Abriss der Hütte. Textilien wandern auf einen Haufen, Wände weichen einem Vorschlaghammer. Draußen treiben Blattreste auf dem Fluss.

Ein Alligator sonnt sich

Am gegenüberliegenden Ufer liegt ein Alligator, den Kopf in der Sonne. Ein zweiter gesellt sich aus dem Wasser dazu. Nach einer Weile macht der erste ein paar Schritte vorwärts, damit die Sonne auch auf den Körper fällt.

Das Ende des Kurzfilms „Lizzy“ führt zurück in die Hütte. In der Ecke eines leeren Raumes steht eine elektrische Orgel auf dem Boden. Als die Nachbarin der Filmemacherin Susanna Wallin gestorben ist, hat sie ihr die Orgel vermacht. „Lizzy“ ist filmische Würdigung und melancholischer Ausdruck des Zwischenstadiums kurz nach dem Tod eines Menschen.

Die Melancholie von Wallins Film, der im ersten Programm des Internationalen Wettbewerbs lief, prägte als Grundstimmung auch den Beginn des Festivals. In den Gesprächen konnte man Unsicherheit hören, wie die kommenden Tage wohl werden mögen.

Sichtbares Sicherheitskonzept

Das Festival hatte in Reaktion auf einen Furor, der gegenwärtig Angriffe und Drohungen gegen Personen und Veranstaltungen für akzeptabel hält, ein sehr sichtbares, sehr ostentatives Sicherheitskonzept entwickelt. Insgesamt führte dies dazu, dass man sich vor allem auf der Konferenz, die der Eröffnung vorausging, aber auch während der ersten Festivaltage angesichts der Befürchtungen in eine Trutzburg von vermeintlichem Konsens zurückgezogen fühlte.

Die konfus moderierten Panels der Konferenz und der von einigen Teilnehmer_innen der morgendlichen Diskussionsrunden zu Sinn, Zweck und Berechtigung von Festivals errichtete Popanz postkolonialer Identitätspolitik, der weder deren Realität noch die Tendenz des aktuellen Festivalbetriebs wiedergab, schienen zunächst nicht dazu beizutragen, zugeschlagene Türen wieder zu öffnen.

Erst allmählich wurden die Stimmen lauter, die demgegenüber mehr Komplexität in der Diskussion einforderten. Die höchstdotierte Auszeichnung des Festivals, der Große Preis der Stadt Oberhausen, ging an den chinesischen Regisseur Wang Zhiyi für seinen Film „Spring 23“. Ein junger Mann versucht in einer Kleinstadt, trotz des offiziellen Verbots von Böllerei, zum chinesischen Neujahrsfest Feuerwerk zu kaufen. Im Abspann ist der Film den Toten der Pandemie gewidmet.

Irakisch-schwedischer Film wird prämiert

Die Jury des Ministeriums für Kultur und Wissenschaft NRW prämierte „On Hospitality – Layla al Attar and Hotel al Rasheed“ von Magnus Bärtås und Behzad Khosravi-Noori, der die irakische Künstlerin Layla al-Attar auferstehen lässt, die 1993 bei einem US-Raketenangriff ums Leben kam. Mitte der 1980er wird al-Attar von Saddam Hussein zur Leiterin des Centers for National Art berufen.

Kurz darauf war sie an der Gestaltung des Foyers im Al-Rashid-Hotel beteiligt, das gebaut wurde, um Gäste des Gipfels der blockfreien Staaten würdig unterzubringen. Die Konferenz war trotz des Kriegs zwischen Iran und Irak, der seit 1980 andauerte, für den Herbst 1982 geplant. Nach einem iranischen Bombardement von Bagdad wurde der Gipfel schließlich nach Neu-­Delhi verlegt und auf 1983 verschoben.

Die aktuelle Ausgabe der Kurzfilmtage glich einem Festival im Ausnahmezustand. Während der Tage in Oberhausen wurden die Effekte des Risses, der sich seit dem Massaker der Hamas am 7. Oktober durch den Kulturbetrieb zieht, ebenso sichtbar wie die Ratlosigkeit, ein Festival trotz Riss reibungslos funktionieren zu lassen.

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