Parteitag der US-Demokraten: Bunt, offensiv und links

Nie haben die Demokraten mehr Vielfalt aufgeboten als in diesem Wahlkampf. Die Republikaner erscheinen dagegen als Versammlung weißhäutiger, älterer Männer.

Die Mischung stimmt: Delegierte in Charlotte am Donnerstag. Bild: reuters

CHARLOTTE taz | Drei Tage haben die DemokratInnen das Crescendo von Charlotte, North Carolina, organisiert. Haben die komplette Diversität ihrer Basis aufgeboten, haben mehr junge Leute, mehr Frauen, mehr Latinos, mehr Lesben, mehr Schwule und mehr Opfer sozialer Ungerechtigkeiten als je zuvor ans Mikrofon gelassen. Und haben im schnellen Wechsel persönliche Geschichten aus dem US-Amerika von unten und von den Rändern erzählt.

Alle RednerInnen lesen ihre Reden vom Teleprompter ab. Sie bestehen aus kurzen, einprägsamen Sätze, in denen immer wieder demokratische Wahlkampfslogans auftauchen. Etwa „forward“ oder „alle gemeinsam“. Zwischendurch heizten Hollywoodstars wie Eva Longoria und Scarlett Johansson sowie MusikerInnen wie die Foo Fighters und Mary J. Blige der Basis ein.

Jeder Tag in Charlotte hat seineN StarrednerIn: Michelle Obama hat zur Eröffnung die emotionale und persönliche Glaubwürdigkeit ihres Gatten gestärkt. Sie spricht zugleich als politisch engagierte Frau, die als First Lady für Kriegsveteranen tätig ist sowie mit Opfern sozialer Ungleichheit zusammenarbeitet.

Bill Clinton hat den zweiten Tag. Der Expräsident hat eine saubere Haushaltsbilanz, hat parteiübergreifende Zusammenarbeit vorexerziert und genießt hohe Glaubwürdigkeit unter WählerInnen der Mitte. Er zieht eine euphorische Bilanz der vergangenen dreieinhalb Jahre, mit Zahlen und Vergleichen, mit Verweisen auf die Rettung der Autoindustrie, auf die Gesundheitsreform und auf das Projekt zur Sanierung des Staatshaushaltes, das am Obstruktionismus der RepublikanerInnen im Kongress gescheitert ist.

Am dritten und letzten Tag spricht Barack Obama selbst. Zu Füßen des Präsidenten, der am Donnerstagabend die Nominierung für eine Kandidatur für eine zweite Amtszeit annimmt, jubeln die drei Tage lang angefeuerten Menschen. Barack Obama sagt ihnen, dass er mehr Zeit braucht. Und dass sie mit ihm eine klare Alternative haben.

Soziale Gerechtigkeit und nationale Sicherheit

Auch er will das Staatsdefizit reduzieren, aber die Hauptthemen seiner Rede sind exakt jene, die sein republikanischer Herausforderer Mitt Romney eine Woche zuvor in Tampa vermieden hat: die soziale Gerechtigkeit für die middle class, die den American dream von der Aufstiegsmöglichkeit für alle verkörpere. Und die „nationale Sicherheit“, womit vor allem die Verfolgung von al-Qaida und andere militärische Operationen im Ausland gemeint sind.

An die Adresse von Frauen wiederholt Obama sein Bekenntnis zu gleichen Lohn und zu Selbstbestimmung über den eigenen Körper. Den EinwandererInnen versichert er, dass die USA sie brauchen. Und als Novum in einem Wahlkampf, der das Thema Umweltzerstörung zuvor fast komplett ignoriert hat, sagt der Präsident: „Die Klimakatastrophe ist kein Gerücht.“ Und lädt jene, die an die Zukunft ihrer Kinder denken, dazu ein, auch deswegen für ihn zu stimmen.

Obama will – auch das sagt er deutlich – eine Million zusätzliche Jobs in der Industrie schaffen. 100.000 MathematiklehrerInnen anstellen. Und das Geld, das die USA nach dem Abzug aus Afghanistan nicht mehr für Krieg brauchen, zuhause ausgeben. Fürs nation building und für die Sanierung des Bundeshaushaltes. Doch wie das konkret gehen soll und um welche Summen es sich handelt, sagt er nicht. Die klaren Attacken, die militanten, aufheizenden und polarisierenden Reden überlässt er anderen.

In früheren Wahlkämpfen hat Obama mitreißendere Reden gehalten. In Charlotte gibt er sich als einer, der über dem Gemenge steht. „Die Zeiten haben sich geändert“, sagt er am Donnerstagabend, „und auch ich habe mich geändert. Ich bin nicht mehr einfach ein Kandidat. Sondern ich bin der Präsident.“

Obamas Basis liebt ihn

Obama spürt eine Gewissheit, die sein republikanischer Herausforderer nicht kennt. Seine Basis liebt ihn. Sie glaubt ihm. Und sie versteht ihn als einen der ihren. Auch die Parteiprominenz steht geschlossen hinter ihm. Nicht nur Clinton, mit dem Obama persönlich und politisch nie besonders warm geworden ist. Auch Expräsidentschaftskandidat John Kerry lobt den Kandidaten mit einer euphorischen Rede über die außenpolitische Bilanz.

Anfeuernde, unterstützende Auftritte kommen auch von Obamas engstem Mitarbeiter, Vizepräsident Joe Biden. Sowie von dem aus der republikanischen Partei übergelaufenen Exgouverneur von Florida, Charlie Crist. Letzterer sagt in Charlotte, dass seine eigene Partei ihn verlassen hat. Darum nennt die ihn „Verräter“.

Bei den RepublikanerInnen klaffen tiefe Gräben zwischen altem Establishment und der neuen, ebenso lautstarken wie intoleranten Lobby von Tea Party und fundamentalistischen ChristInnen. Dazu kommt tiefes Misstrauen gegen den eigenen Kandidaten, der in sozialen Fragen – von der gleichgeschlechtlichen Ehe über die Gesundheitsreform bis hin zum Recht auf Abtreibung – vielfach seine Position radikal geändert hat. Und Berührungsangst mit der eigenen Parteivergangenheit: Während die DemokratInnen mit ihrer Geschichte wuchern, verschweigen und verstecken die RepublikanerInnen George W. Bush und Co.

Zur Überbrückung der internen Gräben haben die Republikaner krampfhaft versucht, Einigkeit zu demonstrieren. Tampa war eine Versammlung von weißhäutigen älteren und meist männlichen Herrschaften aus dem oberen Drittel der Gesellschaft. Ohne handgemalte Transparente, divergierenden Lebensstile und von der Parteilinie abweichende Familienmoral. Die Bibel war – neben der US-Verfassung – das meistzitierte Buch.

Auch die DemokratInnen in Charlotte beginnen ihre Versammlungen mit Geistlichen. Doch statt auf den Schutz des ungeborenen Lebens konzentrieren sie sich auf Menschen, die im Leben leiden. Sie lassen Leute wie Stacey Lihn zu Wort kommen, deren Tochter mit einem Herzschaden zur Welt kam und in ihren ersten zwei Lebensjahren vielfach und für viel Geld operiert werden musste. Die ganze Familie Lihn ist auf der Bühne, die Mutter sagt, dass die von Romney geplante Abschaffung der Gesundheitsreform das Leben ihres Kindes gefährden würde.

Am Rand des Parteitags von Charlotte sagt die lesbische Delegierte Jen Rowry, die mit Frau und sechs Kindern in einer ländlichen Gemeinde in Iowa lebt, dass sie Angst vor einem „Rückschritt um 50 Jahre“ hat. Und die afroamerikanische Rentnerin Manie Cunningham aus Mississippi fühlt sich durch die Republikaner des Jahres 2012 an ihre Jugend erinnert, „als wir nicht in dieselben Restaurants gehen und nicht aus denselben Wasserquellen trinken durften“.

Linker als Obamas Politik

Charlotte ist bunt, offensiv und so links, wie Obamas Politik nie gewesen ist. Zugleich ist es ostentativ patriotisch. Die politischen Hauptpersonen sind KriegsveteranInnen. RednerInnen sprechen von ihren Opfern und von der Bringeschuld der Nation. VeteranInnen kommen auf die Bühne. Der Präsident erzählt von Begegnungen mit Eltern von Gefallenen und von Kriegsverletzten.

Zu Obamas Erfolgsgeschichten gehört das Ende des Irakkriegs. Und die Ankündigung seines Rückzugs aus Afghanistan im Jahr 2014. Das Internierungslager von Guantánamo hingegen, das weiterexistiert, erwähnt niemand in Charlotte.

Obama positioniert sich als radikale Alternative zu Romney. Der will zwar oberster Befehlshaber werden, hat aber in Tampa kein einziges Wort zu dem Krieg gesagt, den sein Land in Afghanistan führt. Auch der tote Osama bin Laden – sowie der per Drohne getötete Anwar al-Awlaki – sind in Charlotte Wahlkampfargumente. Ihre Tötungen werden als Obama-Erfolge beklatscht. Sie dienen als Beleg für das Engagement des Präsidenten für die nationale Sicherheit und gegen al-Qaida. Für seinen „Mut“ und seine „Entschlossenheit“, Ankündigungen umzusetzen. Und dafür, dass er Führungsqualität hat.

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